Postjournalismus – Warum Guttenberg kein Pirat und Khuê Pham keine gute Journalistin ist

Kaum ist der Lügenbaron abserviert, wagen sich auch außerhalb Facebooks jene hervor, die in der Affäre Guttenberg ihr simples Weltbild bestätigt sehen – oder auch einfach nur steile Thesen in den Raum stellen wollen. So behauptet etwa Khuê Pham unter der Überschrift Er war ein Pirat, Karl-Theodor zu Guttenberg sei seinen Jägern nicht unähnlich; copy and paste als moderne Kulturpraxis von Netzaktivisten lasse die Einordnung der zusammengeklaubten Dissertation als mash-up zu. Insofern – so die Autorin – sei er für die Netzgemeinde ein Bruder im Geiste, die Motivation der Jäger bleibe unverständlich.

Bereits auf den ersten Blick fällt der dürftige Stil des Artikels auf: Garniert mit einer Boulevardfrage (Hört jetzt der Streit zwischen Internetaktivisten und netzskeptischen Politikern auf?) betont die Autorin das Vorkommen von Kampfbegriffen (etwa: Zensursula) in netzpolitischen Debatten – um dann noch im selben Absatz die unpräzise Phrase des geistigen Eigentums zu bemühen. Ganz nach der Linie von Copyright-Extremisten vermischt sie so unter Anderem Urheberrecht, den Wunsch nach Namensnennung und Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens.

Keine Frage: Guttenberg hat mit seinem extensiven Plagiat alle drei Bereiche berührt; der vermeintliche Widerspruch bleibt dennoch arg konstruiert. Zwar zitiert die Autorin – korrekt – Markus Beckedahl, der in puncto Urheberrecht doppelte Standards bei der Union sieht, verkennt dann aber die Unterscheidung zu Positionen freier Kultur: Forderungen nach ungehinderter Anwendung und Möglichkeit zu Kopie, Veränderung oder Verbesserung implizieren keine Ablehnung der Nennung von Urheber oder Rechteinhaber.

Um dies festzustellen, bedarf es sicher keiner Ausbildung an einer renommierten Journalistenschule – schon eine flüchtige Beschäftigung mit tatsächlicher Remix-Praxis hätte gereicht: So setzen sämtliche Creative-Commons-Lizenzen eine Namensnennung voraus; Bestandteile der Werke von Sampling-Künstler Girl Talk sind dieser Ethik entsprechend interaktiv aufgelistet. Auch die thematisch verwandten Debian-Richtlinien für Freie Software und die davon abgeleitete Open Source Definition lassen Maßnahmen zum Schutz der Integrität eines Werkes durchaus zu; selbst viele minimalistische Software-Lizenzen fordern als einzige Bedingung für die Weiterverarbeitung eine Beibehaltung der Autorennennung.

Doch nicht erst die semantische Vermengung von Kopie und Bearbeitung macht den Artikel wirr – nebenbei behauptet die Autorin noch, das Netz, ja Zugang zu Google, mache Abschreiben verführerisch einfach, konstruiert so eine Verlagerung der Schuld weg von Guttenberg, hin zum (bösen) Internet. Sollte sich Khuê Pham auch in Zukunft weder um Fakten, noch um Kohärenz bemühen, täte die Zeitungsgemeinde gut daran, sich den Namen der Autorin zu merken – damit Printaktivisten ihre Artikel mit der modernen Kulturpraxis des drag and drop gleich zu den Erzeugnissen von Frank Patalong und Ben Schwan in den Mülleimer befördern können.

Hinweis auf einen möglichen Interessenkonflikt: Ich habe für das GuttenPlag-Projekt zwei Programme geschrieben. Eines (Guttenviz) stellt die identifizierten Fragmente in Karl-Theodor zu Guttenbergs Arbeit als interaktiven Barcode dar, das andere (Guttencat) gibt aus, wie viele Fragmente und Zeilen welcher Plagiatskategorie angehören. Die ermittelten Zahlen flossen in den zweiten Zwischenbericht von GuttenPlag ein.

Ich habe mich auf der re:publica 2011 mit Khuê Pham über den in diesem Beitrag kritisierten Artikel unterhalten. Dass sie mit der Formulierung vom geistigen Eigentum die Rhetorik der – eigentlich kritisierten – Union übernahm, war ihr offenbar nicht bewusst. Auch die reißerische Überschrift ([…] war ein Pirat) hielt sie im Nachhinein für einen Fehler, an dem sich Kommentatoren unnötigerweise festbissen.

Ingesamt stellte sie sich meiner Kritik freundlich und unaufgeregt – schon dies halte ich für einen guten Grund, mein höhnisches Fazit („schlechte Journalistin“) zurückzunehmen. Insofern: Dieser Artikel sollte nicht so heiß gegessen werden, wie er gekocht wurde.

04. März 2011 von erlehmann
Kategorien: Freie Lizenzen, Netzkultur, Netzpolitik, Rants | Schlagwörter: , , , , , , | 5 Kommentare

Kommentare (5)

  1. Die Feinsinnigkeiten bei Plagiat, Filesharing, Diebstahl und Abschreiben in der Schule scheinen immernoch den meisten Leuten unklar zu sein und so wie viele reagieren vermute ich auch, dass viele den Unterschied gar nicht kennen wollen. Traurig.

  2. So, der Guttenberg ist nun Geschichte. Jetzt wollen wir mal hoffen, dass wieder etwas Ruhe in die Geschichte kommt und sein Nachfolger sich um seine eigentliche Aufgaben kümmert. Das ist vor allem der Rückbau der Bundeswehr und der Abzug der Soldaten aus Afghanistan. Die Soldaten hätten dies wirklich verdient.

  3. @eiopa: Richtig: Nichts hätten die Soldaten mehr verdient als den Rückbau der Bundeswehr.

  4. @ christian

    und wer soll dann bitte die Deutschen schützen? Die Hausfrauen sollen selbst in einem Krieg kämpfen?

    Was wäre eig ein Krieg, wenn keiner hingehen würde…?

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