Privatheit contra WWW

Die Privacy-Checkbox ist eine Lüge

Internetplattformen – maßgeblich Facebook und Google+ – vermitteln, Privatsphäre ließe sich durch das Setzen von Häkchen schützen. „Privat“ heißt dort: Inhalte sind nur für bestimmte Nutzer einsehbar.

Plattform-Anbieter sammeln dennoch viele Nutzer-Informationen: Selbst wenn sie sie nicht zu Werbezwecken benötigen, müssen sie immerhin die Zugangsbeschränkungen verwalten. Die so propagierte Privatheit hat mit Datenschutz wenig zu tun; für beteiligte Firmen und Regierungen sind die Daten jederzeit zugänglich.

Die zur Durchsetzung der Privatphäre in sozialen Netzwerken angewandten Nutzergängelungen widersprechen jedoch den Prinzipien, die das Web erfolgreich gemacht haben – maßgeblich Hyperlinks und einfacher Zugang zu dezentral gelagerter strukturierter Information.

URLs – Verweise auf Resourcen im Netzwerk – sind das Rückgrat des Webs. Sie erst ermöglichen den einfachen Austausch von Informationen und werden sowohl online als auch offline verwendet, um Artikel, Bilder, Audio, Video u.V.m. mit Anderen zu teilen.

Zwangs-Anmeldungen und Leseverbote behindern diesen Austausch von Informationen enorm. Um URLs gegenüber plattform-internen Verweisen zu entwerten, werden sie unleserlich gemacht, etwa durch Kürzung. Google+ lügt bei privaten Beiträgen sogar, sie würden nicht existieren und gibt Fehler 404 zurück.

Balkanisierung

Wer private Resourcen teilen möchte, kann diese nun dennoch an andere Stellen kopieren, die weniger Beschränkungen bezüglich Anschauung bzw. Kommentaren haben. Dann jedoch geht der bisherige Kontext verloren.

Öffentlich zugängliche Diskussionen an verschiedenen Orten sind unproblematisch – Kontextverlust stört jedoch massiv. Durch ihn können etwa scherzhafte Bemerkungen als Vergewaltigungswitz interpretiert oder Kriege provoziert werden.

Datenfriedhöfe

Um zu erschweren, dass Nutzer Privatheits-Restriktionen umgehen, darf ein entsprechendes System (DRM) nicht interoperabel sein. Wären abgerufene Daten einfach ausles- und verwend-bar, untergrübe dies das Vertrauen in die Privatheits-Propaganda einer Plattform.

Könnten etwa Nutzer von Google+ zum Lesen Feedreader benutzen, wäre es trivial, Informationen an anderer Stelle neu zu veröffentlichen. Die vorgeblich zum Schutz der Privatheit existierende Weitergabe-Einschränkung circles wäre so weitgehend wertlos.

Teils verhindern eine Weiterverarbeitung schon die erwähnten Zombie-Links und eingestreute Turing-Tests. Dazu kommt die Veröffentlichung von Daten in nicht standardisierten Formaten – gerne mit dem Verweis, durch eine Offenlegung der Spezifikation stehe einer Nutzung nur vernachlässigbarer Implementations-Aufwand im Wege.

Zuletzt herrscht auch für Anwendungen Identifikations-Zwang: Web-Plattformen machen diese oft zur Bedingung zum Zugriff auf ihre Programmierschnittstellen.

Im Ergebnis entstehen Software-Ökosysteme für einzelne Plattformen, in denen individuelle Anwendungen bei Missverhalten leicht ausgeschlossen werden. Anpassbarkeit durch Benutzer wird generell als Risiko für die Privatheit anderer angesehen.

Eingespeiste Daten können von Plattformbetreibern, deren Geschäftspartnern, Ermittlungsbehörden, Geheimdiensten und deren Kollegen aus Übersee verwendet werden. Ob das effektiver Datenschutz ist, ist fraglich. Der Nutzen für die Öffentlichkeit ist jedoch beschränkt – begründet durch Privatheits-Propaganda.

Fazit

Natürlich stehen derartige Nutzergängelungen nicht im Vakuum: Jedes der beschriebenen antisozialen Phänomene hat strategische Vorteile für die Betreiber entsprechender Plattformen; Schutz des Privaten ist nur eine weitere passende Ausrede für Maßnahmen, die früher mit Spam-Vermeidung gerechtfertigt wurden.

Nutzer müssen sich das jedoch nicht gefallen lassen: Es ist durchaus möglich, sich selbst und anderen den Umgang mit eigenen Inhalten zu erleichtern. Der Leitsatz dieser Maßnahmen lautet Mehr Daten für alle!.

Am Einfachsten ist es, Öffentlichkeit zum Default zu erklären. Wer seine Artikel etwa mit WordPress veröffentlicht, limitiert die Weiterverteilung seiner Daten nicht und geht zudem kein Risiko ein, aufgrund eines nicht echt klingenden Benutzernamens gelöscht zu werden.

Wer selber Web-Anwendungen entwickelt, könnte diese sicher nutzerfreundlich gestalten, Zugangsbeschränkungen vermeiden, Standardformate nutzen und Kommentare ohne Anmeldung ermöglichen. All das fördert die Diskussionskultur – vermutlich ist es schlicht profitabler, es nicht zu tun.

Selbst einzelne Entwickler können ihren Teil dazu beitragen, Datenfriedhöfen die Bedeutung zu nehmen. Jedes Export-Skript, das plattform-spezifische Daten in offene Standard-Formate umwandelt, hilft Nutzern und beschädigt die Privatheits-Propaganda.

Der obige Text ist erlehmanns Einreichung zur nullten Spackeriade.

05. Dezember 2011 von erlehmann
Kategorien: Netzpolitik, Rants, Software | Schlagwörter: , , , , , , , | 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Ich befürworte all dies stark!
    Deine Aussagen korrelieren ja ein wenig mit meinem Post darüber, dass jeder Teilnehmer der modernen (lies: technisierten) Gesellschaft (im Zuge der vollständigen Auslebung demokratischer Grundsätze) eigentlich verpflichtet ist, sich stärker mit der Technik auseinanderzusetzen und – zumindest rudimentär – zu verstehen wie sie funktioniert und welche Auswirkungen das haben kann bzw. hat.
    Denn nur wer überhaupt VERSTEHT, was offene Standards SIND, kann verstehen warum offene Standards GUT sind und kann dann daraufhin welche fordern!
    Vllt sollten wir statt Occupy Wallstreet sowas wie Educate *street machen…
    http://www.moritz-schlarb.de/digitale-bildung/

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