Die Berliner Stadtmusikanten

Etwas besseres als die Festanstellung finden wir allemal ! prangt in roten Lettern auf der Rückseite des Covers der diesen Monat erschienenen Taschenbuchausgabe von Wir nennen es Arbeit (8,95€; Heyne), und noch vor dem Vorwort wird mit einem Brecht-Zitat nachgetreten: Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes ? Nachdem mir Rainer der Genfuchs bei einer nächtlichen Unterredung nahegelegt hatte, das Buch doch einmal zu lesen – es würde meinem Lebensentwurf und insbesondere dem, was ich in Berlin zu finden versuche, ganz gut entsprechen – bestellte ich es letzten Donnerstag (sicherlich auch, weil ich den Namen Sascha Lobo schon einmal bei Spreeblick und anderswo gelesen hatte). Um es vorab zu sagen: Ich bin verzückt von diesem Sammelsurium wunderbarer Geschichten aus der Welt der vernetzten Einzelkämpfer; und das, obwohl mir weite Teile bereits aus den Massenmedien bekannt waren: Die Agenten der Zentralen Intelligenz Agentur haben ganze Arbeit geleistet.

Doch worum geht es überhaupt ? Wie bereits angedeutet, behandelt das Buch verschiedene netzaffine Subkulturen, deren Lebensansätze vor allem zwei Dinge gemein haben: Erstens handelt es sich um Freiberufler, zweitens wären die von ihnen besetzten Nischen im wirtschaftlich-kulturellen Komplex ohne das Internet nicht entstanden (bzw. nicht in einem nennenswerten Maß nutzbar). Darüber hinaus lassen sich wenige Gemeinsamkeiten ausmachen – Journalisten, Programmierer, Künstler (im weitesten Sinne), Blogger, Ebay-Powerseller und sicherlich auch einige Progamer sind vertreten in dem, was die Autoren raffiniert als digitale Bohème bezeichnen, und deren Phänomenologie die Autoren sich anschicken in elf Kapiteln – jeweils zwischen 20 und 30 Seiten lang – zu ergründen. Glaubt man dem Vorwort, so hatten sie dabei nicht nur Schwierigkeiten, ihr Manuskript überhaupt produziert zu haben (14 Verlage lehnten es ab), ja sie selbst hätten am wenigsten damit gerechnet, dass es überhaupt irgendwo an- oder ein-schlägt – heute, nach einigen Hypes mehr leuchtet jedoch ein, wie derart präzise sie da einen Nerv getroffen haben, der ihre Nachricht direkt in die Feuilletons der Totbaum-Medien weitervermittelte.

Passend zum Thema beschäftigt sich das erste Kapitel mit dem Begriff (hier: Prinzip) der Bohème: Von den Anfängen dieser 1830 in Paris entstandenen dritten Klasse (neben Bourgeouisie und Proletariat) bis zu den von Mercedes Bunz propagierten urbanen Pennern wird da so einiges behandelt, der Schwerpunkt liegt jedoch weniger auf trockener Historie, sondern vielmehr auf dem mit Zugehörigkeit zur kreativen Klasse verbundenen Lebensgefühl und den wirtschaftlichen Auswüchsen desselben. Gewissermaßen als Schock wird sich dann in Kapitel zwei (Titel: Der unflexible Mensch) mit der Situation abhängig Beschäftigter (d.h. den Angestellten) und bedrückenden (lies: unterdrückenden) Konzepten beschäftigt, die Konzernhierarchien innewohnen; am bekanntesten ist hier wohl das Bullshit-Prinzip, doch bereits der schlichte Zwang zur stundenplan- (und nicht unbedingt ziel-)orientierten Arbeit unterscheide die Festanstellung vom selbst-bestimmten Arbeiten in fundamentaler Weise – für mich durchaus nachvollziehbar, wache ich doch lieber ohne Wecker auf.

Kapitel drei behandelt laut Überschrift die Währung Respekt, handelt allerdings eher von Aufmerksamkeit, und führt damit hauptsächlich auf Felder, in denen das Ausmaß medialer Rezeption bestimmend und somit von elementarem Interesse ist: Auf der Spex wird ebenso herumgehackt wie auf Big-Brother-Jürgen, Marc Ecko hingegen wird gelobt. Am Ende kommt man zu sprechen auf das neue Vitamin B – Beziehungsnetzwerke, die weniger durch familiären Filz als vielmehr durch Freundschaften mit nicht unbedingt geschäftlichem Charakter gekennzeichnet sind – und erwähnt ganz nebenbei, dass es Leute gibt, die auf Xing (Myspace für Vizerektoren) allen Ernstes [sic !] über neuntausend bestätigte Kontakte aufweisen.

Im folgenden Kapitel geht es dann um den konkreten Gegenentwurf zum Angestelltendasein: Work in Projects lautet das Credo jener, die – ganz nach Al Bundy – darauf hoffen, Geld mit dem verdienen zu können, was Ihnen mittelfristig Spaß macht (ja, an dich denke ich, Antonia). Armut, Zukunftsangst und die Notwendigkeit eines minimalen Auskommens – die Autoren sprechen hier von Brotjobs – als Kehrseiten der Do-it-yourself-Medaille … ach scheiß drauf ! Ich bin grad im St. Oberholz angekommen und hier sind mindestens hundert Leute mit Macs ! (Den nachfolgenden Text habe ich bereits vorher verfasst.)

Als Mangel empfinde ich die stellenweise fehlende Tiefe – zweifellos der umfangreichen Materie geschuldet, stört es mich doch sehr, wenn z.B. Fon und Freifunk erwähnt werden, der fundamentale Unterschied – Kontrolle der Nutzer über die Infrastruktur – jedoch ungenannt bleibt. Auch ließe sich wohl in manch ausschweifenden Textpassagen mehr Inhalt unterbringen: So wird das Prinzip von Creative Commons gleich mehrfach erwähnt, eine kurze Erklärung der Lizenzoptionen fehlt allerdings. Ansonsten stören neben (zu) oft auftauchenden Mac-Vergleichen (unmarkierter Adnation-Content ?) nur die gelegentlich eingestreuten Rechtschreibfehler (Toni Mahoni auf spreeblic.com ? Das hätte doch spätestens beim unit test auffallen müssen !).

Subjektives Fazit: Wir nennen es Arbeit ist Zustandsbeschreibung, Analyse und Manifest zugleich – man möge mir verzeihen, wenn ich es zu einem gewissen Grad auch als Anleitung verstehe, schließlich bin ich jung, bereits der Kultur wegen in die Hauptstadt der Vollbeschäftigung gezogen (Kapitel 6), verabscheue Bullshit (Kapitel 2), blogge (Kapitel 8) und träume von einer postindustriellen, individualisierten und egalitären Gesellschaft (Kapitel 11), in der man Geld mit dem verdienen kann, was einem Spaß macht (Kapitel 3). Vom erwähnten Cafe St. Oberholz werde ich daher gleich weiterziehen, zum heutigen Berliner Web-Montag.

Update: Auf die von mir emfundenen Mängel angesprochen meinte Lobo, das sich das Buch nicht an Menschen wie mich richte; eher sollen die Kreativen es ihren Eltern in die Hand geben, auf dass die endlich den Eindruck loswerden, ihr Spross würde ausschließlich faulenzen.

21. Juli 2008 von admin
Kategorien: Linkschleuder, Misantropie als Bewältigungsstrategie, Nihilismus-Reliquien erster Klasse, Software, Technik | Schlagwörter: , , , | Schreibe einen Kommentar

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