Viva La Petición !

Europasaal des Paul-Löbe-Hauses

Am Montag letzter Woche besuchte ich die Sitzung des Petitionsausschusses des Bundestages, um die Anhörung zur Netzsperren-Petition zu verfolgen. Leider gibt es zu der Veranstaltung kein öffentliches Protokoll; ich habe mir aber Notizen gemacht. Dieser Beitrag ist als Ergänzung zu bestehenden Berichten zu verstehen und soll vordergründig die Positionen der Beteiligten noch einmal herausarbeiten, einige eher unwichtige Punkte habe ich daher ausgelassen. Wer nur eine kurze Zusammenfassung sucht, findet diese im Webarchiv des Bundestags.

Zu Beginn wurde noch einmal der außerordentliche Erfolg der Petition betont, die mit 96 sachgleichen Anliegen zusammengefasst worden war. Ebenso erwähnt wurde eine mir bisher unbekannte Petition für Netzsperren, deren Initiator sich jedoch nicht hintraute anwesend war. Dann las Franziska Heine ihre Stellungnahme vor. Ihre Stimme war anfang etwas schwach, was sich aber im Verlauf der Rede gab. Die vorgetragenen Argumente waren wiefolgt:

  1. Netzsperren sind unwirksam: Die betreffenden Inhalte sind weiterhin ganz frei im Internet anzuklicken.
  2. Netzsperren sind unnötig:Grenzüberschreitende Strafverfolgung ist bereits jetzt möglich.
  3. Netzsperren sind intransparent: Geheime Listen sind nicht kontrollierbar.
  4. Netzsperren ermöglichen Willkür: Es ist vollkommen unklar, ob / wie man sich gegen falsche Einträge wehren könnte.
  5. Netzsperren stehen Art 5. GG entgegen: Sie führen zu sog. chilling effects.
  6. Netzsperren verhindern Verbrechensbekämpfung: Eine Umleitung auf ein Stoppschild fungiert im Ernstfall als Frühwarnsystem für Anbieter verbotener Inhalte.
  7. Netzsperren könnten Verbreitung illegaler Inhalte fördern: Schließlich würde die Regierung hier eine Liste eben jener Inhalte zusammenstellen.

Es folgte eine Fragerunde, bei der weitere Fragen sowohl an Franziska Heine als auch an die Bundesregierung gestellt wurden. Die Fragen wurden zunächst in Blöcken zu mehreren gestellt, viele wurden dann aber noch einmal einzeln wiederholt, da sich die Petentin nicht immer an alle erinnern konnte. Hier die nennenswerten Details:

  • Herr Schwartze (SPD) fing mit einer emotionalen Einleitung an: Wir alle […] wollen Kinder schützen. Er räumte ein, dass die SPD das Netzsperren-Gesetz mittlerweile als Fehler ansieht und kündigte an, dass die SPD-Fraktion am Donnerstag (heute) einen Antrag für ein Aufhebungsgesetz einbringen wird.
  • Herr Feist (CDU) fragte, ob man den Faktor Informationsfreiheit gegen das Ahnden von Straftaten ausspielen kann. Franziska Heine parierte, indem sie darauf hinwies, dass dies eine falsche Dichotomie ist.
  • Frau Remmers (Linke) fragte, ob man an einer Verfassungsbeschwerde festhalten würde, falls das Gesetz nicht aufgehoben werde (ja). Clever: Sie erwähnte den JmStV und gab so der Petentin eine Steilvorlage, auf die geplanten Webseiten-Sendezeiten und Altersverifizierungs-Richtlinien hinzuweisen.
  • Herr Kauder (CDU) versuchte, die Anhörung zu sprengen: Er bezeichnete die stattfindende Debatte als Phantomdiskussion, fragte, inwiefern Franziska Heine Kontakt mit Abgeordneten gehabt habe und ob es neue Argumente gäbe, die eine Neubewertung des Netzsperren-Gesetzes erforderlich machten. Diese wies darauf hin, dass man im Gesetzgebungsverfahren ignoriert worden sei. Außerdem war sie ja da, um ihre Argumente zu präsentieren.
  • Als Herr Hagemann (SPD) redete und zunächst Kauder kritisierte, wollte dieser einen Geschäftsordnungsantrag einbringen, was aber abgekanzelt wurde; Kauder wurde vom Publikum ausgelacht. Hagemann stellte dann Fragen, die wohl eher an das BKA gerichtet waren: Er erkundigte sich nach dem bisherigen Umsetzungsstand, ob bereits Listen erstellt wurden und was sog. Schwerpunktstaatsanwaltschaften seien.
    • Franziska Heines Antwort war simpel: Natürlich habe sie keine Ahnung von bestehenden Listen, weil diese ja geheim seien.
    • Die Antworten von Seiten des BMI, vertreten durch Herrn Schulz, waren erfreulich: Trotz des baldigen Inkrafttretens des Zugangserschwerungsgesetzes habe das BKA noch keine Sperrlisten erstellt und kommuniziere nicht mit den Providern. Auch seien bisher keine zusätzlichen Kosten diesbezüglich entstanden.
  • Herr Stadler (FDP) vom Justizministerium erklärte, die Ursache für das Umdenken bei der Bewertung der Netzsperren sei die neue Zusammensetzung der Bundesregierung nach den letzten Wahlen. Auch er kündigte eine Initiative zur Aufgebung des Gesetzes an — diesmal von Regierungsseite. Eine Entschädigung für Provider gäbe es nicht. Zur aktuellen Praxis bemerkte er, dass die Bundesregierung dem Grundsatz „Löschen vor Sperren“ nach die Sperren bis zur Aufgebung des Gesetzes nicht anwenden möchte, da sich die Inhalte ja löschen ließen; ein gesichtswahrender Kunstgriff.
  • Herr Dörmann (SPD), ehemaliger Chefunterhändler für die SPD in Sachen Zugangserschwerungsgesetz, gab sich erstaunlich schleimig freundlich: Zunächst fragte er, ob Franziska Heine ihm zustimme, dass die Debatte um Netzsperren ganz allgemein zu einer neuen Sensibilität [für Netzpolitik] geführt hat (was von ihr bestätigt wurde). Dann versuchte er, sich selber in ein positives Licht zu rücken: Er habe durchgesetzt, dass „Löschen vor Sperren“ im Gesetz verankert sei, die Sperrlisten einmal im Quartal kontrolliert würden und Privatsphäre geschützt sei, indem keine Auswertung der Logdaten stattfinde. Weiterhin wollte Dörmann wissen, ob man mit dem Gesetz auch die Verträge mit den Providern aufheben müsse und inwiefern ein separates Löschgesetz überflüssig sei.
    • Von Seiten des BMIs kam hier der Hinweis, das BKA sei angewiesen, die Verträge zu kündigen; teilweise erfolge eine automatische Kündigung durch das Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes.
  • Herr von Notz (Grüne) erkundigte sich nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (schließlich handele es sich um eine primär polizeiliche Maßnahme) und stellte die Frage nach der Existenz eines betreffenden Erlasses des BMIs, der eine Lösch-Lesart des Gesetzes festschreibt. Nachdem diese positiv beantwortet wurde, äußerte er Bedenken, dass man ein Gesetz nicht einfach durch einen Erlass ändern könne, von Seiten des BMI wurde hier auf einen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verwiesen, den man nun ausschöpfe.
  • Frau Remmers erkundigte sich nach möglichen positiven Erfahrungen mit Sperren aus dem Ausland. Franziska Heine: Es gebe keine Erkenntnisse darüber.
  • Herr Dörmann erwähnte noch einmal den geplanten JmStV: Mit der Einleitung Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Minderjährige vor bestimmten Inhalten geschützt werden müssen. — eine Aussage, die ich so nicht unterschreiben könnte — leitete er über zu (freiwillig) beim Nutzer installierten Filterprogrammen, die Eltern ermöglichen, Inhalte für ihre ihre Kinder individuell zu zensieren. Er wollte wissen, inwiefern die Petentin dies als problematisch ansehe.
    • Franziska Heine bewertete eine Vorzensur durch Eltern als problematisch. Negativlisten würden hier schlicht nicht funktionieren, statt dessen solle man besser altersgerechte Angebote entsprechend bewerben. Auch betonte sie, dass es keinen Ersatz für das Vermitteln von Medienkompetenz gebe — technische Maßnahmen könnten keine Lösungen für derartige Probleme sein.
  • Herr Winkler (Grüne) fragte, ob man die Dienstanweisung an das BKA vorzeigen könne, oder ob die […] so geheim [sei], dass wir sie uns aus dem Internet beschaffen müssen. Für mich definitiv der humoristische Höhepunkt der Anhörung.
  • Herr Schulz (FDP) outete sich als Petent Nummer Viertausendnochwas und erkundigte sich nach dem Anteil kommerzieller Kinderpornografie im Netz. Vage beantwortete die Petentin dies mit dem Hinweis darauf, dass das Web nicht Quelle und Hauptumschlagplatz für entsprechende Inhalte sei, vielmehr geschehe eine Verbreitung über P2P-Netze und Postsendungen.
  • Herr Wunderlich (Linke) wies darauf hin, dass Erfahrungen mit der schwedischen Sperrliste eine Nutzlosigkeit von Netzsperren zum Zwecke der Bekämpfung von Kinderpornografie nahelegen. Zudem fragte, er, ob die Bundesregierung schon immer davon ausging, dass Löschen als Maßnahme ausreiche.
    • Herr Stadler (FDP) bekräftigte hierzu noch einmal, dass der Konsens zu Sperren heute ein anderer sei, als bei Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes. Er sei zuversichtlich, dass ein diesem Stimmungswandel entsprechendes Löschgesetz rasch verabschiedet werden könne — und selbst wenn nicht, gäbe es immer noch die festgeschriebene Evaluierung der bestehenden Regelung.
  • Der Vertreter des BMI sagte, es hätte 5 Verträge zwischen Providern und Regierung gegeben, Informationen über mögliche Kosten auf Seiten der Provider sind nicht bekannt.
  • Frau Stötzel vom BMFSFJ meinte, man befinde sich in einem Lernprozess bezüglich Präventivmaßnahmen zum Kinderschutz und verwies auf das Projekt kein täter werden der Charité.

Zum Schluss verkündete die Vorsitzende des Ausschusses, bei der nächsten Sitzung würde weiter zur Petition beschieden. Parlamentarier und Besucher verließen nach und nach den Saal; die Petentin wurde noch von einigen Journalisten belagert, denen sie Rede und Antwort stand.

Meine abschließende Meinung: Franziska Heine hat die Interessen der Netzbürger definitiv adäquat vertreten, auch wenn es hier und da Schwächen in der Präsentation gab. Aber es kann (und muss) nun einmal nicht jeder ein rhetorisches Schwergewicht sein; ich bewerte die Veranstaltung insofern als klaren Erfolg.

Markus Beckedahl interviewt Franziska Heine nach der Anhörung

01. März 2010 von erlehmann
Kategorien: Netzpolitik | Schreibe einen Kommentar

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